Berlin, 01.06.2022

Erklärung zum Abstimmungsverhalten in Sachen Sondervermögen

Sehr geehrte Damen und Herren,
im folgenden Text begründe ich mein Abstimmungsverhalten bezüglich der Einrichtung eines Sondervermögens und der Festschreibung des 2-Prozent-Ziels für Rüstungsausgaben. Wenn Sie möchten, können Sie aus der Erklärung Zitate nehmen.

1. Davon, dem Sondervermögen einen erweiterten Sicherheitsbegriff zugrunde zu legen, ist nichts mehr übrig geblieben. Das wäre noch hinzunehmen, wenn dann nicht


2. vereinbart worden wäre, auch nach Verausgabung des Sondervermögens die Mittel bereitstellen zu wollen, die es braucht, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr gemäß den geltenden Nato-Zielen (2-Prozent-Ziel) zu gewährleisten, wobei dann

3. über das Zwei-Prozent-Ziel noch hinausgehend aus dem Bundeshaushalt Mittel für Cybersicherheit, Zivilschutz und Stabilisierung von Partnern zur Verfügung gestellt werden sollen, um dem erweiterten Sicherheitsbegriff Rechnung zu tragen. Dazu sollen Mittel aus dem Kernhaushalt on top auf die Zwei-Prozent Rüstungsausgabenanteil am BIP kommen. Und das, ohne dass dabei die Schuldenbremse oder die Absage Lindners an Steuererhöhungen in Frage gestellt werden. Das birgt die Gefahr, dass die Finanzierung anderer wichtiger im Koalitionsvertrag vereinbarter Reformen und Verbesserungen infrage gestellt wird.

4. Wofür wir mithin stimmen sollen, ist eine auf Dauer gestellte Übereinkunft zum 2-Prozent-Ziel. Und zwar ohne dass klar ist, was sich im Beschaffungswesen der Bundeswehr ändert. Das Zwei-Prozent-Ziel ist eine ‘abstruse Kennziffer’, die die Verteidigungsausgaben an die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts koppelt. Da das BIP in den letzten Jahrzehnten in der Tendenz stärker gestiegen ist als der Bundeshaushalt und das auch in Zukunft so bleiben dürfte, bedeutet dies, dass wir einen ständig steigenden Anteil der Rüstungsausgaben am Gesamthaushalt
befürworten würden – und zwar als parteiübergreifend vereinbarten Leitsatz für die Haushaltspolitik auch über das Jahr 2027 hinaus. Wenn auch nicht mit Verfassungsrang, wohl aber als auf Dauer angelegter Grundkonsens.
Da ist für mich die rote Linie überschritten.

5. Zumal das auf der Grundlage einer gar nicht mehr hinterfragten Prämisse stattfindet, wonach die Balten und dann wir die nächsten Opfer eines russischen Angriffskrieges werden könnten, wenn wir jetzt nicht massiv aufrüsten.
Eine Prämisse, die im Lichte des tatsächlichen Verlaufs des Ukrainekrieges immer mehr an Plausibilität verliert. Denn die russische Aggression erweist sich nicht als Erfolgsmodell, das zur Nachahmung einlädt, sondern als militärisches Desaster. Dabei wird das russische Militär weniger als Koloss, sondern als Scheinriese mit Atomwaffenarsenal erkennbar. Und da sind wir noch gar nicht bei den heute schon gravierenden Disproportionen bei den Rüstungsausgaben von Nato und Russland
(mit einem BIP von der Größe Spaniens).

Kurzum:
Das Verhandlungsergebnis ist von unseren grünen Positionen meilenweit entfernt. Einer auf dieser Grundlage erfolgenden Grundgesetzänderung kann und werde ich nicht zustimmen.